BGH verhandelt über Bonuszahlungen für rezeptpflichtige Medikamente bei EU-Versandapotheken
Klage gegen niederländischen Anbieter - Streit um Preisbindung und EU-Recht - Entscheidung des Gerichts steht noch aus
08.05.2025
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe befasst sich aktuell mit einem Fall, der den Arzneimittelversandhandel grundlegend betreffen könnte. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob ausländische Versandapotheken ihren deutschen Kunden Bonusprämien für verschreibungspflichtige Medikamente gewähren dürfen – trotz der in Deutschland geltenden Preisbindung.
Konkret verhandelte der erste Zivilsenat über eine Klage des Bayerischen Apothekerverbands gegen eine niederländische Versandapotheke. Die Beklagte hatte Folgendes angeboten:
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3 € Bonus pro rezeptpflichtigem Medikament,
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maximal 9 € Bonus pro Rezept,
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zusätzliche Prämien bei Teilnahme an einem Arzneimittelcheck per Formular oder Telefon.
Der Apothekerverband sieht in diesen Boni einen Verstoß gegen das deutsche Wettbewerbsrecht und insbesondere gegen die gesetzlich festgelegte Arzneimittelpreisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel.
Zum Hintergrund:
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Rezeptfreie Arzneimittel unterliegen in Deutschland keiner Preisbindung – Apotheken können die Preise selbst bestimmen.
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Rezeptpflichtige Medikamente müssen hingegen nach gesetzlich festgelegten Preisen verkauft werden.
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Ziel dieser Regelung ist laut Apothekerverbänden der Schutz der Patienten vor Preisunterschieden sowie der Erhalt einer flächendeckenden Apothekenstruktur.
Seit Jahren ist jedoch strittig, ob diese Preisbindung auch auf Apotheken im EU-Ausland angewendet werden kann. Kritiker sehen darin einen Verstoß gegen den freien Warenverkehr innerhalb der EU.
Der bisherige Verlauf der Klage:
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Die Vorinstanzen, darunter das Oberlandesgericht München, hatten der Klage des Apothekerverbands stattgegeben.
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Das OLG argumentierte, dass die Preisbindung nicht gegen EU-Recht verstoße. Der Gesetzgeber habe nachvollziehbar davon ausgehen dürfen, dass sie die Arzneimittelversorgung in Deutschland sichere.
In der mündlichen Verhandlung am BGH wurde allerdings deutlich, dass das oberste Zivilgericht die Lage möglicherweise anders bewerten könnte. Der Vorsitzende Richter Thomas Koch wies auf die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hin:
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Eine Einschränkung des freien Warenverkehrs sei nur zulässig, wenn es konkrete, empirisch belegbare Gefahren für die Versorgungssicherheit gäbe.
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Die Klägerseite müsse beweisen, dass die Regelung notwendig sei, um die Arzneimittelversorgung im Inland zu gewährleisten – etwa, weil ohne Preisbindung Apotheken in strukturschwachen Regionen schließen könnten.
Der Rechtsanwalt des beklagten Unternehmens verwies darauf, dass solche harten Beweise bislang fehlten. Der Vertreter des Apothekerverbands warnte hingegen vor zu spätem Handeln: „Wenn eine Apotheke einmal schließt, macht sie nicht wieder auf.“
Ein Urteil wurde noch nicht verkündet – ein Termin für die Entscheidung ist derzeit offen.
Kommentar: Warum der Streit um Arzneimittel-Boni mehr ist als nur ein juristisches Detail
Was auf den ersten Blick wie ein Spezialfall zwischen einem Apothekerverband und einer niederländischen Versandapotheke wirkt, ist in Wahrheit ein Paradebeispiel für den grundsätzlichen Konflikt zwischen nationaler Gesundheitsversorgung und europäischem Binnenmarkt. Es geht um mehr als nur 3 € Prämie pro Medikament – es geht um die Frage, ob gesetzlich verankerte Preisregeln im Zeitalter grenzenlosen Online-Handels überhaupt noch Bestand haben können.
Die Argumente beider Seiten haben Gewicht:
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Die Apothekenvertreter mahnen zurecht: Eine flächendeckende Versorgung kann nur gewährleistet werden, wenn alle Apotheken unter fairen Bedingungen wirtschaften. Wer in strukturschwachen Regionen eine Apotheke betreibt, tut das nicht selten am wirtschaftlichen Limit. Fallen die Preisbindungen, könnten große Versandhändler den Wettbewerb durch Rabattschlachten verzerren – mit gravierenden Folgen für den ländlichen Raum.
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Andererseits verlangt das EU-Recht nach Wettbewerb und Marktöffnung. Wer ohne klar nachweisbare Bedrohung Ausnahmen fordert, muss sich dem Vorwurf stellen, reine Marktabschottung zu betreiben. Genau das moniert der BGH: Für Einschränkungen der Warenverkehrsfreiheit braucht es messbare Fakten – keine bloßen Befürchtungen.
Der Fall zeigt damit eine zentrale Herausforderung der heutigen Gesundheitspolitik: Wie schafft man es, den lokalen Gesundheitsdienstleister zu schützen, ohne dabei europäische Grundfreiheiten auszuhebeln? Und wie viel Schutz braucht der Patient – oder will er einfach den besten Preis?
Solange diese Fragen nicht geklärt sind, wird jede Gerichtsentscheidung in diesem Feld mehr sein als nur ein Urteil – sie ist ein Signal für die Richtung, in die sich die Versorgung in Deutschland bewegt.